Mit freundlicher Genehmigung der Autoren präsentieren wir zwei Nachrufe an Hans Reinhard. Auf dieser Seite befindet sich der Nachruf von Manfred Kalteisen und Peter Gölz, der ursprünglich im "Journal Europäischer Orchideen" (Vol.39 Heft 2 August 2007) publiziert wurde. Auf Französisch geben wir den Nachruf von Olivier Gerbaud wieder, der ursprünglich in L'Orchidophile (Nr. 176-2008) publiziert wurde. Weiter verlinken wir gerne auf den Nachruf von Hannes F. Paulus (pdf-Datei)

 

Nachruf von Manfred Kalteisen und Peter Gölz

Am 18. März 2007 ist der weit herum bekannte Orchideen-Forscher und -Kenner und unser lieber und geschätzter Freund Hans R. Reinhard an den Folgen eines Herzinfarktes in Zürich, im Beisein seiner Ehefrau Ruth, gestorben. Mit ihm verliert der AHO und darüber hinaus die Gemeinschaft der Freunde europäischer Orchideen einen herausragenden Kenner. Man kann ohne Übertreibung sagen: Hans Reinhard hat bei der Erforschung der europäischen Orchideen Massstäbe gesetzt.

Sein Tod gibt uns Anlass, seiner Person und seines langjährigen fruchtbaren Wirkens zu gedenken.

Er wurde am 21. April 1919 in Wangen a. Aare geboren und wuchs in Wald ZH auf. Anschliessend liess er sich an der Universität Zürich zum Sekundarlehrer mit Botanik im Hauptfach ausbilden. Diesen Beruf übte er dann bis 1984 in Zürich aus. Erst beschäftigte er sich neben dem Beruf mit vielerlei handwerklichen und künstlerischen Tätigkeiten. Danach, in den 60er Jahren, begann er sich mit dem Aufsuchen und der Erforschung europäischer Orchideen zu befassen, einer Freizeit- und Ferienbeschäftigung, die ihn zeitlebens nicht mehr los liess und die ihn in zahllose europäische und mediterrane Gebiete führte.

Bei diesen Tätigkeiten lernten wir beide ihn kennen und schätzen, und wir durften ihn als treuen Freund, Reisebegleiter und Mitforscher erleben. Unsere freundschaftliche Beziehung mit ihm und seiner Frau dauerte über 40 Jahre lang, und manche wunderbare Erinnerungen an gemeinsame Reisen, Forschungen, wissenschaftliche Zusammenarbeit und Diskussionen blieben zurück.

Von den zahlreichen Ergebnissen, die ohne seine zähe Hingabe an die Sache, seinem Einfallsreichtum und seiner akribisch genauen Arbeitsweise undenkbar gewesen wären, können wir nur ein paar Glanzlichter und Höhepunkte aufzählen.
Dazu gehörten anfangs erste Reisen ins damals orchideenmässig noch ziemlich unbekannte Mittelmeergebiet. Hier beschäftigten ihn und uns nicht zuletzt angeregt durch die Lektüre von Nelsons Werken - Zusammenhänge der Evolution und der Systematik der europäisch-mediterranen Orchideen. Fragen über Verwandtschaften und über die Erkennungs- und Unterscheidungsprobleme verschiedener Taxa brachten ihn bald auf die Idee, angeregt auch durch die Arbeiten von Rudolf Gsell, mit Hilfe von statistischen Verfahren Kriterien für die "Sippendiskriminanz" einzusetzen, was ihm denn auch den anerkennenden Spitznamen "Orchimeter" eintrug. Hier konnte er, in Zusammenarbeit mit Peter Gölz als Mathematiker, erfolgreich mehrere Beiträge zur besseren IdentifIkation verschiedener Sippen und Hybriden beisteuern, unter anderem auch durch ein paar Neubeschreibungen.

Mit Manfred Kalteisen oder mit Peter Gölz zusammen konnte er, ein guter Beobachter, mehrere aufschlussreiche Entdeckungsreisen unternehmen und sich fast unvorstellbar viel durch Messungen und Vergleiche gesammeltes statistisches Material besorgen. Als Produkt aus diesen Tätigkeiten kam es dann zu einigen Neubeschreibungen, zum Beispiel von Ophrys lesbis, Ophrys aegaea, Ophrys luds, Ophrys splendida und anderen mehr, Namen, die heute aus der europäischen "Orchideenszene" nicht mehr wegzudenken sind.

Zu den Höhepunkten in seinem Leben mit den europäischen Orchideen zählten dann zweifellos auch die beiden Reisen ins damals (1980 und 1982) fast hermetisch abgeschlossene Balkanland Albanien, die wir auf Einladung der albanischen Akademie der Wissenschaften ganz nach unseren Wünschen und Vorstellungen ausführen konnten. Die Beobachtungen, Aufzeichnungen und weiteren Dokumentationen fanden ihren Niederschlag in einer grösseren Arbeit über die Orchideenflora Albaniens.

Angesichts seiner stupenden Fähigkeiten, gewonnenes Material zu sammeln, aufzuarbeiten, zu präsentieren und damit auch andere an den Qualitäten seines untrüglichen künstlerischen Gefühls und seiner sorgfältigen Arbeiten teilhaben zu lassen, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass er zum Ehrenmitglied der Zürcher Botanischen Gesellschaft ernannt worden ist.

Seine Schöpfungskraft und auch seine gestalterischen Fähigkeiten fanden dann eine weitere grosse Herausforderung, als an ihn der Wunsch herangetragen wurde, zusammen mit anderen Autoren ein Buch über die Orchideenflora der Schweiz und angrenzender Gebiete zu schaffen, in welchem der damalige Kenntnisstand und die damaligen photographischen Möglichkeiten zu einem Ganzen zusammengefügt werden sollten. Innert kurzer Zeit gelang ihm der grosse Wurf: 1991 erschien das Buch, das unter seiner massgeblichen Regie zustande kam - war er doch in der Zwischenzeit in den Ruhestand übergetreten und konnte einen grossen Teil seiner Schaffenskraft der Vollendung dieses Werkes widmen. Das Buch hat während fünfzehn Jahren europaweit den Massstab gesetzt!

Speziell erwähnen wollen wir hier noch seine künstlerische Begabung und seinen Hang zur Malerei, was in den späten Achtziger und frühen Neunziger Jahren sichtbaren Niederschlag in der Schöpfung eindrücklicher Aquarelle mit Ophrys-Blüten in ihrem geographisch passenden Umland finden konnte (siehe Anhang, Abb. 1 und 2). Diese Sammlung von Aquarellen wurde von seinen Kindern zu seinen Ehren zu einem stilvollen Buch zusammen komponiert und in kleiner Stückzahl an seine nächsten Freunde weiter gegeben - wir beide gehören zu den Glücklichen, die im Besitz eines solchen Buches sind.

Seine Kompetenz und sein umfassendes Wissen machten ihn europaweit zum begehrten Diskussionspartner und Ratgeber: Sein Urteil hatte Gewicht. Eigentlich ist es mehr als erstaunlich, wie er seine umfangreiche Korrespondenz und die vielen Anfragen bewältigte. Zum persönlichen Meinungsaustausch und zu Fachgesprächen stand das Haus Reinhard jederzeit offen. Für alle Anliegen, die an Hans Reinhard herangetragen wurden, hatte er immer ein offenes Ohr: Die Anfragen wurden stets mit einer ausführlichen Antwort und praktischer Hilfsbereitschaft beschieden. Auch schimmerte bei der Beantwortung von Anfragen immer wieder seine geduldige Akkuratesse durch, ebenso seine einfühlsame Art, die einem Ratsuchenden nie das Gefühl gab, er würde von oben herab behandelt.

Wir sind traurig über den Verlust unseres lieben Freundes und werden seiner bei allen unseren künftigen Beschäftigungen mit den geliebten Orchideen respektvoll gedenken. Seiner Gattin und seiner grossen Familie entbieten wir unser herzliches Beileid.

Manfred Kalteisen und Peter Gölz